Zurück zur Textliste.

Gregor Eisenmann — Arbeiten

Eröffnungsrede zur Vernissage am 23.05.2012

Boris Teskow, ein eher unbekannter Prager Gelehrter und Gesellschaftskritiker, der am Ende des 19. Jahrhunderts lebte, sagte einmal »Wenn die Realität es nicht hergibt, dann beginne zu träumen.« Gregor Eisenmanns Bilder sind bereits mehrfach als »Traumwelten« beschrieben worden. Man stellt ihn damit — vielleicht auch eher unbewusst, geradezu unterbewusst — in die großen Fussstapfen der Surrealisten. Diese beriefen sich in ihrem Manifest von 1924 ebenso wie Boris Teskow mit seinem ebengenannten Zitat auf Sigmund Freud.

Freuds frühes Hauptwerk — »Die Traumdeutung« — machte in einer vernunftgeprägten Welt auf das Unterbewusste aufmerksam. Phantasie und Absurdität waren dann auch die Waffen des Surrealismus gegen die menschliche Logik. All dies ist inzwischen hundert Jahre her. Die damals als arnachistisch geltenden Surrealisten haben es auf das Abstellgleis der etablierten Museen geschafft und die Logik bemächtigt sich mehr und mehr unseres Alltags. Auch der Schlaf ist weiter erforscht. In diverse Phasen eingeteilt, die durch verschiedene Gehirnwellen gekennzeichnet sind, ist genau benannt wann die Wahrnehmung der Umgebung nachlässt, wann die Muskeln erschlaffen und wann Träume beginnen.

Warum aber geträumt wird ist bis heute noch nicht wirklich klar. Die wohl bekannteste Hypothese geht von einer Verarbeitung der erlebten Erinnerungen aus. Zeit und Raum spielen dabei keine ernstzunehmende Rolle. Die Gedanken jagen durch unser Gehirn und genauso wie ich Ihnen jetzt die absurde Verknüpfung von Orange und Oktupus abringen kann bringt das Tagesgeschäft in unseren Köpfen so manche Stilblüte zustande.

Die Bilder, die sie hier sehen, können ebenso als erweiterte Verarbeitung des Vergangenen verstanden werden. Collagierte Photoausschnitte gleichen Gedankenblitzen. Ihre Zusammenstellung ist weder an lokale noch temporäre Zwänge gebunden. Viel mehr ist es das Bild selbst gegen das sich Eisenmann stemmt — oder das Bild gegen ihn. Je nach Lesart.

Ich weiß nicht wie viele von Ihnen den Film »Inception« mit Leonardo DiCaprio gesehen haben. Ich will kurz umreißen worum es geht. DiCaprio mimt einen fadenscheinigen Dienstleister, der sich gegen Bezahlung Zugang zu den Träumen anderer verschafft, um dort Geheimnisse aus dem Unterbewusstsein zu stehlen, Gedanken zu manipulieren oder — in der Königsdisziplin — ganze Ideenkonstrukte zu erschaffen und sie den Mandanten unbemerkt einzupflanzen. Bei Gregor Eisenmann ist es im Grunde umgekehrt. Hier ist jemand, der seine Gedanken offenlegt. Wir müssen uns nicht mit allerhand technischem Gerät in die Träume begeben. Sie liegen vor uns. Werden serviert. Wir sehen verschwommene Erinnerungen von verschiedensten Städten, Reisen, Situationen. Eisenmann entblößt uns in vielen Bildern seine Welt — Gregors Welt.

Doch der Schein ist trügerisch, denn der auf den ersten Blick roh wirkende Strom in sich verschachtelter Details ist Ergebnis eines harten Kampfes. Ein Ringen des Künstlers mit seinen Erinnerungen und der Form ihrer Darstellung. Zwar lässt er sich dabei auch von seinen Gefühlen — seinem Unterbewussten — leiten, doch die ausgefeilte Komposition, der Umgang mit Rythmus und Farbe, belehren uns eines Besseren: Hier geht es um Manipulation! Eisenmann will nicht sich selbst zeigen, sondern uns beeinflussen. Er wird zu einer morpheushaften Gestalt, bewaffnet mit dunkelschwarzem Kaffee und künstlichem Tageslicht, die nicht die eigenen Träume offenbart, sondern die der Betrachter gestaltet. Wir sehen hier Propaganda! Nicht ideologisch aufgeladen oder politisch motiviert. Eisenmann fordert viel mehr den mündigen Betrachter, der den Mut aufbringt sich neuen Realitäten zu stellen, Teil von ihnen zu werden und sie gemeinsam aus dem Reich der Träume in die Wirklichkeit zu bringen. Deshalb ist es auch kein Wunder, wenn das Atelier von Gregor Eisenmann in Utopiastadt zu finden ist. Einem Bahnhof in der Nordstadt Wuppertals, der schon lange keine Züge mehr gesehen hat. Ein Bahnhof, der dennoch davon träumt endlich wieder Reisende willkommen zu heißen: Künstler und Kreative, aber auch und vor allem Neugierige jeder Art — eben Träumer.

Denn Boris Teskow wird weiter zitiert: »Wenn die Realität es nicht hergibt, dann beginne zu träumen bis Dein Traum die Realität geworden ist.«

♹ Ende
Jedes Ende ist auch ein Anfang sagt man und es gibt nichts, das man ewig haben kann.